BAUMFIGUREN - page 24

Theo Weber
Cresco ergo sum
«Ich wachse, also bin ich.»
Peter Killer schreibt in seinem Essay «Moveor ergo sum» über den Schwyzer
Alfons Bürgler: «Ein Besuch in seinen Arbeitsräumen, ihm zu begegnen
und mit ihm zu reden ist ein vitalisierendes Erlebnis, das einen in ein Kraft-
feld von Lebens- und Gestaltungsfreude versetzt.»
1. November 2007, Allerheiligen, kurz vor 9 Uhr: Warten vor dem Atelier
des Künstlers – eiskalter Novembermorgen.
Die Bevölkerung von Steinen pilgert zur Messe. Ich begegne Alfons Bürg-
ler zum ersten Mal in meinem Leben. Nach einer kurzen Begrüssung führt
er mich in den Ausstellungsraum, die ehemalige Schnapsbrennerei an der
Räbengasse. Nein, es riecht nicht nach Grappa und auch nicht nach den
berühmten Steiner «Chriesi». Eher nach Obstbranntwein. Auch gut!
Hier treffe ich auf das Baumfiguren-Kabinett. Steht das Kabinett Kopf?
Gesoffen, besoffen? – Nein! Der Künstler hat die Zweige und Äste ledig-
lich auf den Kopf gestellt und sie so zu Figuren gemacht, sie «vitalisiert».
Aufrecht, gebeugt, geneigt, verneigt, stabil und zerbrechlich, schweigend
oder kommunizierend, dicht aneinander gedrängt oder einzeln, zu Zwei-
en, in Gruppen begegnen sie mir. Einige gehen aufeinander zu. Andere
wenden sich voneinander ab. Statt wie einst still und steif im Walde sind
die Gestalten nun bewegte und bewegende Mitglieder des Kabinetts.
Es ist nicht die feuchtkalte Novembernacht, welche die Figuren mit eis-
kristallenen, weiss leuchtenden Rändern versehen hat. Vielmehr sind sie
mit weisser Farbe bestrichen! Zweige und Äste von Buche, Esche, Ahorn,
Erle, Espe, Weide, Holunder und Hasel begegnen mir plötzlich als lebens-
frohe, anmutige Gestalten. Das Weiss verstärkt die Konturen: Eleganz,
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