BAUMFIGUREN - page 16

Dr. Joseph Bättig
Baumfiguren: Prozess einer Montage
Alfons Bürgler, als Künstler bekannt für seine sowohl den Menschen und
seine Umwelt radikal hinterfragende Art und gleichzeitig für seine ver-
spielt ausbrechenden Chiffren und Zeichen, führt uns in dieser Ausstellung
in ein Baumfiguren-Kabinett. Es ist – wir weisen gerne darauf hin – zuerst
einmal das Baumfiguren-Kabinett des Künstlers. Das heisst: Es gilt vorerst
zu beachten, dass es primär Anreiz wie Absicht des Schaffenden war, natür-
lich gewachsene Bäume am Ort ihres Ursprungs – das ist unter Umständen
auch ein Wald – auf ihre potentielle Veränderbarkeit hin zu entdecken,
um sie in einem künstlich-künstlerischen Prozess so zu verändern, dass sie
jetzt als Baumfiguren in einem Kabinett stehen. Das ist ein Prozess, der uns
schon wegen seiner Originalität zum Nachdenken einlädt.
Schauen wir uns zuerst den Titel der Ausstellung etwas genauer an! Er
heisst: Baumfiguren-Kabinett. Wir nehmen diese seltsame Wortkombina-
tion staunend und gleichzeitig etwas irritiert zur Kenntnis. Denn, legt die-
se ungewöhnliche Bezeichnung nicht schon beim ersten Lesen ein ganzes
Bündel seltsam befremdender Signale frei? Eigentlich sind es doch nur drei
Worte: «Baum», «Figur» und «Kabinett». Und jedes Wort, für sich genom-
men, ist uns bekannt. Sobald wir sie aber nebeneinander stellen, legen sie
eine Reihe von Fragen frei. Es ist, als liesse sich keine Brücke vom einen
Wort zum andern schlagen. Und ehe wir uns versehen, weht über diesen
drei vertrauten Worten ein verfremdender Hauch von Unbegreiflichkeit.
Weshalb nur? Hier ein Hinweis: Wir sind uns innerhalb eines Kabinetts von
Baumfiguren plötzlich nicht mehr sicher, ob wir denn wirklich so genau
wissen, was ein Baum ist, was eine Figur und was diese beiden in einem
Kabinett verloren haben.
Doch das Suchen hat erst begonnen und wir fragen weiter: Stehen wir
in diesem Kabinett vor einer Baumgruppe oder ist es vielleicht doch ein
kleiner Wald, oder zumindest der Ausschnitt eines Waldes? Appellieren
wir an unsere Sehgewohnheiten! Der Hinweis, dass wir es von einer unbe-
stimmten Zahl an aufwärts nicht mehr mit einzelnen Bäumen, sondern mit
einemWald zu tun haben, scheint uns doch objektiv und hundertprozentig
gesichert zu sein.
Wiegen wir uns aber nicht zu früh in Sicherheit! Unsicherheiten sind vom
Künstler eingeplant, und Alfons Bürgler wird uns elegant und unaufdring-
lich noch ganz andere Sichtweisen anbieten. Die Frage ist nur, von wel-
chem Punkt her ein Einstieg möglich ist. Deshalb sei hier auf eine mögliche
Ausgangs- oder Einstiegsposition verwiesen.
Eigentlich ist sie leicht zu finden und ist, mindestens zu Beginn, mit unse-
rer gewöhnlichen Sicht auf die Erscheinungsformen von Baum und Wald
beinahe deckungsgleich. Auch dem Künstler sind Bäume genau so nahe
und wichtig wie uns. Sie verteidigen mit ihrem in den Raum greifenden
Astwerk durchaus ihre Eigenständigkeit und lassen sich – das entspricht ih-
rer Natur – vorläufig nicht auf den Kopf stellen, was den Baumfiguren von
Alfons Bürgler später zu einer selbstverständlichen, aber neu konzipier-
ten Existenzform verhelfen wird. Eines ist sicher: die hier gezeigten Bäume
werden nicht unreflektiert zu koboldhaften Tänzern, zu Zeichen und Chif-
fren menschlicher Zustände, als die sie uns nun im Kabinett erscheinen und
gegenüberstehen.
Etwas grundsätzlich Neues hat sich demnach gegenüber unseren Sehge-
wohnheiten ereignet. Es ist Alfons Bürgler, der als Künstler mit einer neuen
Sicht auf das symbiotische Zusammenspiel von Baum und Wald eine neue
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