Alfons Bürgler - page 141

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Die Aufhebung von Zeit und Raum
Momente der Zeitlosigkeit. Wir sitzen am Meeresufer, die
Füsse im Wasser und schauen in die Wellen. Wir tun nichts.
Es genügt uns, zu spüren, zu riechen, zu sehen, zu hören
und uns dem gleichmässigen Rhythmus hinzugeben.
Gedankenverloren betrachten wir die Strudel, die sich beim
Wegströmen des Wassers an unseren Fersen bilden,
geniessen jedesmal das feine Kräuseln auf den Zehen,
wenn das Wasser zurückfliesst, lassen uns einlullen vom
gleichmässigen, an- und abschwellenden Geräusch des
Wassers, bemerken nicht, dass es im Kopf an irgend etwas
herumdenkt oder phantasiert, verlieren die Zeit und das
Bewusstsein des gegenwärtigen Raumes.
War es nicht früher in der Eisenbahn das gleichmässige
Ratetah, Ratetah der Räder auf den Schienen, welches
immer lauter und dominanter wurde und uns einschläferte
oder fast in Trance brachte, in eben den Zustand des
Verlusts von Zeit und Raum und bewussten Denkens?
Es gibt noch viele Beispiele: Vielleicht erinnern wir uns an
die Litaneien an Maiabenden in der Dorfkirche, an den
Atem- und Laufrhythmus beim Joggen, an das berauschen-
de Gefühl, das beim Tanzen aufkommen kann, wenn wir
uns dem immer gleichen Rhythmus hingeben, an die ent-
rückende Kraft von Trommelrhythmen, an das Wiegen und
den Singsang von Müttern, die ihre Säuglinge beruhigen.
Fast alle Religionen aller Zeiten und aller Kulturen enthal-
ten mehr oder weniger viele Formen von rhythmischer
Betätigung. Dabei scheinen diese alle einen Sinn und ein
Ziel zu haben, nämlich die Erlangung eines Trancezustan-
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