grossem Penis lehnt gelassen an der einen Wand. Die Frau an seiner Seite
unübersehbar glücklich, und er geniesst diese ihm geschenkte Zuwendung.
Ist auch das gegeben? Die beiden lassen sich durch nichts ablenken, sind
ganz auf sich geworfen. Ilse bittet mich, sie nicht zu stören. Warum nicht?
Ich will wissen, warum sie so glücklich sind. Ist es nicht die Liebe, in wel-
cher Form auch immer, die den grössten Teil unseres Lebens einnimmt und
bestimmt? Ich will hinschauen. Da ist die alte Frau, schön und knorrig. Ilse
meint, sie liebt das Leben, ohne Angst davor es loszulassen. Und da, ein
junger behinderter Mann. Er ist ganz in das Spiel der Vergleiche vertieft.
Betrachtet seinen Körper, wirft vergleichende Blicke in den Raum, stellt
dann mit einer Zufriedenheit fest, dass er sich gefällt. Und da die Drillinge,
die sich ständig uneins sind. Ihre Liebe gehört der sorgfältigen Auseinan-
dersetzung. Und die Dame mit dem dritten Sinn, die allen Rat schenkt,
Lebensmut versprüht. Die Mutter, die ihre Kinder zur Eile drängt und der
kleinere Vater, der es mit Ruhe und Gelassenheit schafft und seiner Gemah-
lin ein Lächeln des Friedens schenkt. Und was ist mit den Tratschtanten, die
über jeden Menschen in diesem Raum etwas zu berichten wissen, was er
oder sie vielleicht selber nicht mal wissen. Und ... der schöne Mann mit Pus-
teln ... die drängende Dame ... der Jüngling mit kleinem Penis ... und ich.
Ein Zauber der beseelten Begegnung. In einem kurzen Moment, da Ilse von
ihrer Nachbarin abgelenkt wird, schleiche ich mich aus dem Raum. Schliesse
ich hinter mir ab, mit dem Wunsch die Baummenschen wieder zu besu-
chen, Neues zu entdecken. Ein schönes und doch auch wundersames Ge-
fühl, betrachtende Besucherin und gleichzeitig Beobachtete zu sein. Wer
hinschaut, wird auch gesehen.
Prisca Anderhub
, geboren 1965 in Pully bei Lausanne. Ausbildung als Primarlehrerin 1983–1988,
anschliessend 1989–1992 Besuch der Schauspielschule in Zürich und Heirat mit Rolf Anderhub.
1993 kommt ihr erster Sohn Colin zur Welt, sein Bruder Pascal folgt ein Jahr später. Sie war En-
semblemitglied der Theaterfalle Zürich, ist Gründerin des Hofstatttheaters Schwyz und Ensemb-
lemitglied des Historischen Museums Luzern. 2003 Abschluss als Theaterpädagogin. Führte Regie
bei Klein- und Grossprojekten, arbeitet seit vielen Jahren als freischaffende Schauspielerin in der
ganzen Schweiz und hat sich unter anderem als Solodarstellerin mit Eigenproduktionen einen
Namen gemacht. Mit ihrer Familie lebt sie in Brunnen.